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50 Jahre Polyethylen

Bei jungen und aktiven Patienten ist die Verschleißreduktion der wichtigste Ansatzpunkt, um die Langzeithaltbarkeit zu verbessern. Ein neues, quervernetztes Polyethylen (PE) vermindert den Abrieb und senkt die Zahl der Revisionseingriffe.

Vor über 50 Jahren begann eine Erfolgsgeschichte, die trotz konkurrierender Verfahren bis heute den Goldstandard der Gleitpaarungen bei der Implantation von Hüft- und Knieendoprothesen darstellt. Nach einigen Fehlschlägen mit Teflon gelang es Sir John Charnley 1962, ein totales Hüftgelenkersatzsystem zu entwickeln, das gute funktionelle und zuverlässig wiederholbare Ergebnisse lieferte. Als künstlicher Ersatz der Hüftpfanne wurde ein Kunststoffpolymer verwendet – ein ultrahoch-molekulargewichtiges Polyethylen (UHMWPE). Schon sehr früh wurde erkannt, dass die Standzeiten dieser Prothesensysteme stark durch den Abrieb der Gleitlager limitiert sind. In den 1990erJahren wurde der Zusammenhang zwischen Osteolysen und Polyethylenpartikeln wissenschaftlich belegt. Sir John Charnley postulierte aber schon 30 Jahre früher die „Low Friction Arthroplasty“, indem er den Kugelkopfdurchmesser (22 mm) und somit das Reibmoment reduzierte. Mit abnehmenden Durchmessern steigt aber auch das Risiko für eine Luxation des Kunstgelenks. Der Kompromiss aus Stabilität, Funktionalität und Abrieb ist bis heute die Herausforderung aller Prothesenhersteller. Das Design der Charnley-Pfanne wurde in der Folgezeit mehrfach optimiert und konnte Anfang der 1990er-Jahre unter dem Handelsnamen Ogee® Standzeiten von 95 Prozent nach zehn Jahren nachweisen. Materialeigenschaften verbessert Heute ist dieses erfolgreiche Design mit stark verbesserten Materialeigenschaften unter dem Handelsnamen „MarathonTM zementierte Pfanne“ erhältlich. Entwicklungen in der Verarbeitung des UHMWPE konnten den Abrieb durch das sogenannte „CrossLinking“, eine Quervernetzung der Kohlenwasserstoffketten, um bis zu 80 Prozent reduzieren. MarathonTM stellt seine Leistungsfähigkeit durch moderate Quervernetzung bei 5 Mrad und anschließendem „Remelting“ seit 1998 unter Beweis. Beim „Remelting“ wird das Material über seine Schmelzgrenze erhitzt. Dies ist das einzige thermische Verfahren, bei dem freie Radikale, die die mechanische Stabilität negativ beeinflussen, vollständig eliminiert werden. Aufgrund der Erfahrungen mit MarathonTM wurde der Herstellungsprozess optimiert. Untersuchungen haben gezeigt, dass sich der volumetrische Abrieb bei Erhöhung der Strahlendosis von 5 Mrad auf 7,5 Mrad um 50 Prozent reduziert. Speziell für die jungen und aktiven Patienten wurde ein neues Polyethylen entwickelt. AltrXTM wird nach demselben Verfahren wie MarathonTM hergestellt, wobei die Strahlendosis auf 7,5 Mrad erhöht wurde. Um die mechanische Integrität bei der höheren Strahlendosis zu gewährleisten, wurde als Basismaterial das GUR1020 gewählt und nach der Bestrahlung ebenfalls über seine Schmelzgrenze erwärmt. Mit AltrXTM ist es gelungen, ohne Einschränkung der mechanischen Leistungsfähigkeit den Abrieb nochmals zu mindern. Dies erlaubt eine Reduktion der minimalen Wandstärke, und so können größere Köpfe schon bei kleineren Pfannendurchmessern eingesetzt werden (z. B. 32 mm Inlays [neutral] ab 48 mm und 36 mm [neutral] ab 52 mm). Kein Allgemeinrezept Etwas differenzierter muss die Situation in der Knieendoprothetik betrachtet werden. Im Kniegelenk werden multidirektionale Bewegungen beim „Mobile Bearing Design“ von der Prothese unidirektional umgesetzt, weshalb die Langzeitstabilität dieser Designs weniger durch den Abrieb dominiert ist. Bei den sogenannten „Fixed Bearing Designs“ werden die multidirektionalen Bewegungen ähnlich wie bei der Hüfte direkt auf die Gleitpaarung übertragen. Bei größerem Flexionswinkel kommt es vermehrt zu Punktbelastungen, weshalb hier andere Materialeigenschaften erwünscht sind. Es gibt also kein Allgemeinrezept für das Polyethylen, sondern die mechanischen Eigenschaften des Materials müssen immer auf die jeweiligen Belastungsarten abgestimmt werden. Erfolgreich in Registern Das Fixed Bearing Design der SIGMA®-Familie ist in den Registern ähnlich erfolgreich wie das Pinnacle®-Hüftsystem und feierte letztes Jahr seinen 25. Geburtstag. Zur Abriebreduktion wurden jüngst das XLK-Polyethylen und ein hoch poliertes CoCr-Tibiaplateau eingeführt. Das XLK-Poly wird mit demselben Verfahren wie MarathonTM hergestellt, allerdings wird als Grundmaterial das elastischere GUR1020 verwendet, um den veränderten Ansprüchen gerecht zu werden. Generell kann heute zwischen den beiden Materialtypen GUR1020 und GUR1050 unterschieden werden, wobei GUR1020 elastischere mechanische Eigenschaften besitzt und bisher schwerpunktmäßig in der Knieendoprothetik eingesetzt wird. Mit dem neuen AOXTM – Antioxidant Polyethylen – werden auch im Mobile-Bearing-Segment neue Maßstäbe für die wachsenden Ansprüche an moderne Prothesensysteme gesetzt. Ähnlich wie bei AltrXTM besteht das Grundmaterial aus GUR1020, das mit 7,5 Mrad bestrahlt ist. Bei AOXTM wird ein neues Antioxidanz mit dem Markennamen COVERNOXTM verwendet, um die freien Radikale zu stabilisieren, ohne dabei die mechanischen Eigenschaften des Polyethylens zu beeinträchtigen. Fazit Alle diese neuen Entwicklungen haben eine Verbesserung des bestehenden Goldstandards zum Ziel, und so wird das Polyethylen den unterschiedlichen Anforderungen bei den verschiedenen Einsatzgebieten angepasst. Bei jungen und aktiven Patienten sind die Gleitpaarungen höheren Belastungen ausgesetzt und die Verschleißreduktion ist der wichtigste Ansatzpunkt, um die Langzeithaltbarkeit zu verbessern. Auch bei den geschilderten neuen Materialien müssen in der Zukunft klinische Langzeitstudien, wie beim Marathon geschehen, die Praktikabilität in vivo belegen. ● Prof. Dr. med. Christian Heisel